Wann endet eine Katastrophe? Bei der Jahrhundertflut Mitte Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen war der Himmel am Tag danach wieder strahlend blau. Aber bis heute haben die Menschen in den betroffenen Gebieten mit den Zerstörungen durch das verheerende Hochwasser zu kämpfen. Für sie ist die Katastrophe auch eineinhalb Jahre später nicht vorbei.
Am Dienstag sitzt NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach zum zweiten Mal als Zeugin im Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung möglicher Versäumnisse und Fehleinschätzungen der Landesregierung und Ministerien während der Katastrophe. Fehler sieht Scharrenbach bei sich nicht. «Mein Haus wurde erst nach der Hochwasserkatastrophe einbezogen.» Daraus entspinnt sich eine spitzfindige Debatte mit der Opposition aus SPD und FDP, wann eine Katastrophe eigentlich endet.
Ausgangspunkt ist der Vorwurf der Opposition, das Scharrenbach-Ministerium liefere nicht alle Akten an den Ausschuss. Da geht es auch um die Frage, wie lang die Hochwasserkatastrophe eigentlich dauerte - bis zum Tag danach oder Wochen länger, als Menschen immer noch in Notunterkünften wohnten und sich durch die Trümmer ihrer Existenzen kämpften.
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 verwüstete die Jahrhundertflut Teile von Nordrhein-Westfalen. 49 Menschen kamen ums Leben, die Schäden werden auf 13 Milliarden Euro geschätzt. Mit 180 Städten und Gemeinden war fast die Hälfte der NRW-Kommunen betroffen.
Für Scharrenbach ist klar: Die beiden Fluttage seien das «Schadensereignis» gewesen. «Wir haben keine Zuständigkeit während einer Katastrophe», sagt sie. «Ab dem 16. Juli haben wir uns mit den Folgen beschäftigt.»
Sie habe schon ab dem 15. Juli Bürgermeister betroffener Kommunen kontaktiert und sei in das Flutgebiet gereist, sagte die Ministerin. Am 19. Juli abends habe sie eine Einladung des Innenministeriums zu einem Krisengespräch mehrerer Ressorts für den kommenden Tag erhalten. Ihr Haus sei ab dem 21. Juli mit der Auszahlung der Soforthilfen in Höhe von 65 Millionen Euro befasst gewesen.
«Während der Hochwasserkatastrophe hat mein Haus keinerlei Zuständigkeit gehabt», betonte Scharrenbach immer wieder. Das gelte auch für die Entsorgung von Müll oder die Verantwortung für Straßen, Schulen oder Krankenhäuser. Anfang August 2021 habe der damalige Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) das Kommunalministerium dann federführend mit der Zuständigkeit für den Wiederaufbau beauftragt. Der Wiederaufbau sei aber «klar die zweite Spur», wenn es darum gehe, die Folgen des Hochwassers zu beseitigen.
Sie sei nie zuständig für Gefahrenabwehr gewesen, sagt Scharrenbach. Das sei Sache des Innenministeriums. Sie habe lediglich dafür zu sorgen gehabt, aus den 65 Millionen Euro Soforthilfe Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu finanzieren. Ihr Haus habe auch keine Mitarbeiter etwa für Bergrecht, Entsorgung oder Aufräumarbeiten. So sei das Kommunalministerium auch nicht mit der Sicherung der Abbruchkante der Kiesgrube Erftstadt-Blessem befasst gewesen, betonte Scharrenbach. Über ihr Ministerium sei lediglich die Finanzplanung der Stadt zur Sicherung der Kiesgrube gelaufen. Die Fluten hatten in Blessem einen gewaltigen Erdrutsch ausgelöst. Eine Ursache dafür war in den Augen vieler Anwohner die angrenzende Kiesgrube.
Scharrenbach hatte bereits vor einem Jahr im Flut-Ausschuss Stellung zu dem Vorwurf beziehen müssen, nicht alle Dokumente geliefert zu haben. Auch bei ihrer zweiten Vernehmung bissen sich die Oppositionsabgeordneten an ihr die Zähne aus. Stoisch verwies die Ministerin darauf, dass sich der neue Untersuchungsauftrag des wieder aufgelegten Untersuchungsausschusses nur noch auf die Zeit «während» der Hochwasserkatstrophe beziehe. Im Ausschuss der vergangenen Wahlperiode hatte sich der Auftrag dagegen auch auf die Zeit «vor» und «nach» dem Hochwasser bezogen. Die Opposition beruft sich dagegen darauf, dass der Ausschuss laut Beschluss konkret den Zeitraum vom 9. Juli bis 9. September 2021 betrachtet.
Nach zwei Stunden schließt der Ausschussvorsitzende Sven Wolf (SPD) die Vernehmung - und spricht von einem Dilemma. Er habe die Hoffnung gehabt, dass die Arbeit des Untersuchungsausschusses «auf den letzten Metern» rasch erledigt werde. Denn bis zur Sommerpause soll der Abschlussbericht vorgelegt werden.
Scharrenbach ist nach ihrem Auftritt im U-Ausschuss vom Dienstag aber noch nicht aus dem Schneider. Die Ministerin ist nach Angaben der SPD ein weiteres Mal für den 27. Februar als Zeugin vorgeladen. Es wäre dann ihr dritter Auftritt in den beiden aufeinanderfolgenden Flut-Ausschüssen. Die SPD warf der Ministerin vor, dem Ausschuss mit «Wortklauberei» relevante Akten weiterhin vorzuenthalten. Die CDU bezeichnete die erneute Vorladung als «Willkür» und warf der SPD vor, den U-Ausschuss unnötig in die Länge zu ziehen.
Letztlich räumt aber auch Scharrenbach ein, dass die Katastrophe für die Menschen in den Flutgebieten natürlich nicht mit dem Ende des Hochwassers am 16. Juli, dem Tag danach vorbei war. «Da war der Himmel blau, die Sonne lachte und auf Erden war die Katastrophe», sagt sie. Die Folgen des Hochwassers, «die ziehen sich bis heute».
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