Die Menschen in Niedersachsen zeigen so wenige Straftaten an wie lange nicht mehr - befürchten aber auch seltener, Opfer eines Verbrechens zu werden. So habe die Anzeigenquote 2020 bei 22 Prozent gelegen, das sei der niedrigste Stand seit etwa zehn Jahren, sagte der Präsident des Landeskriminalamts, Friedo de Vries, am Montag zur neuen Dunkelfeldstudie 2021. In den Vorjahren lag die Quote über 25 Prozent. Mit der Entwicklung werde man sich kritisch auseinandersetzen müssen, betonte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius. Die Studie sei die «verlässlichste Erkenntnisquelle zum Sicherheitsgefühl», sagte der SPD-Politiker.
Das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, schätzten der Studie zufolge 6,0 Prozent als hoch ein - 2017 waren es noch 12,7 Prozent. Knapp ein Drittel der Befragten wurde 2020 Opfer einer Straftat, 2017 lag der Anteil bei 32,3 Prozent. Das Landeskriminalamt befragt seit 2013 Menschen in Niedersachsen jeweils im Abstand von zwei Jahren. Rund 40.000 Menschen über 16 wurden für die repräsentative Studie angeschrieben, mehr als 17.500 antworteten. Niedersachsen war laut Pistorius jahrelang das einzige Bundesland mit einer solchen Studie, inzwischen gebe es dies in mehreren Ländern und auch bundesweit.
Die Untersuchung sei gewissermaßen das «Spiegelbild» der polizeilichen Kriminalstatistik, erklärte der Innenminister. Die im März präsentierte Untersuchung ergab für 2021 so wenige Straftaten wie noch nie seit Einführung der Statistik 1990. «Wir leben in Niedersachsen in einem sicheren Land», betonte er. Gleichwohl würden die Befunde der Dunkelfeldstudie «sehr ernst» genommen, sagte Landespolizeipräsident Axel Brockmann.
Unsicher in der eigenen Wohnung oder der Nachbarschaft fühlten sich laut Studie 7,8 Prozent der Befragten - 2017 lag der Anteil noch bei 12,7 Prozent. Die allgemeine Furcht vor Kriminalität sank von 13,5 auf 6,4 Prozent und damit auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Erhebung. Die größten Sorgen bereitet die Gefahr, Opfer von Diebstahl oder Einbruch zu werden. Hasskriminalität fürchteten 1,8 (2017: 3,4) Prozent. Frauen schätzten die Risiken insgesamt höher ein als Männer.
Was die Studie auch ergab: Mehr als die Hälfte der Opfer war mehrfach von Straftaten betroffen. Beleidigung und Bedrohung im Internet kamen auf einen Anteil Betroffener von 6,4 Prozent, Sexualdelikte (3,7 Prozent) und Hasskriminalität (0,8 Prozent) waren eher selten, aber dennoch so hoch wie nie seit Beginn der Studie. Die Arbeit der Polizei bewerteten die meisten Befragten positiv, allerdings sank der Anteil derer, die denken, dass Ausländer und Deutsche von der Polizei gleich und alle gerecht behandelt werden.
Nach Einschätzung von Kevin Komolka, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen, leistet die Polizei einen wichtigen Beitrag für die Lebensqualität im Land. Er mahnte allerdings: «Wir müssen in jedem Fall kontinuierlich weiter dafür sorgen, dass diskriminierendes und anderes ungerechtfertigtes Verhalten innerhalb der Polizei keinen Platz hat.»
Eine Untersuchung zu Gewalt in der Partnerschaft ergab laut Studie, dass 5,7 Prozent der Befragten 2020 das Opfer psychischer oder physischer Gewalt des Partners wurden - das betraf 6,7 Prozent aller befragten Frauen, aber auch 4,6 Prozent der Männer. Angezeigt wurden allerdings nur durchschnittlich 0,5 Prozent aller erlebten Gewalterfahrungen. «Es geht fast immer darum, dass Männer nicht damit klarkommen, dass Frauen beschließen, ohne sie zu leben», sagte Pistorius. Gewalt in Partnerschaften sei nicht zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen.
Insgesamt am häufigsten angezeigt wurden Delikte wie sexueller Missbrauch, schwere Körperverletzung und Raub mit Quoten zwischen 27,5 und 57,7 Prozent. Wer ein Verbrechen anzeigt, will vor allem, dass Täterin oder Täter gefasst werden. Wer dagegen auf eine Anzeige verzichtet, denkt häufig, dass der Fall nicht schlimm genug war oder die Polizei nichts tun kann. Manche Opfer wollten aber auch ihre Ruhe haben oder das Erlebte vergessen. De Vries mahnte trotzdem: «Zeigen Sie Straftaten konsequent an.» Pistorius betonte: «Sicher zu leben ist ein Grundbedürfnis jeder und jedes Einzelnen.»
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