Hannover (lni). Müde wischt sich Martin Michalski den Schweiß von der Stirn. Seit Stunden arbeitet er schon im Garten - zupft Unkraut, pflanzt Gemüse und Blumen, wässert die trockenen Beete. Wenn er hochblickt, sieht er jedoch keinen Gartenzaun oder Bäume, sondern die Überreste der Continental-Fabrik im hannoverschen Stadtteil Limmer.

Michalski arbeitet nicht in seinem eigenen kleinen Garten, sondern auf einem alten Parkplatz - im Gemeinschaftsgarten "Küchengärten Limmer". Das Projekt im Westen Hannovers ist Teil einer neuen Bewegung: dem "Urban Gardening" (urbanem Gärtnern), das gewaltfrei und kreativ Städte grüner, umweltfreundlicher und so lebenswerter machen will. Der Trend kommt aus den USA, wo viele verlassene Innenstädte durch die Verschönerungen aber auch durch richtigen Ackerbau aufgewertet werden.
"Die Bewegung "Urban Gardening" versteht sich als Gegenpol zur Industriemoderne, die das Bild unserer Städte noch bestimmt", sagt Christa Müller, Herausgeberin des Buchs "Urban Gardening" und innerhalb der deutschen Szene ein wahres Idol. "Die Natur erobert sich wieder einen Teil der Städte zurück. Man kann oft nicht mehr zwischen Stadt und Land unterscheiden." Gleichzeitig gebe es ein großes Bedürfnis, draußen zu sein, sein eigenes Gemüse anzupflanzen, wieder mehr mit der Natur zu leben.
"Urban Gardening" ist auch so etwas wie ein politischer Protest", sagt Martin Sondermann, der an der Leibniz Universität Hannover zu dem Thema lehrt und forscht. "Wenn immer mehr Bürger Verkehrsinseln, Mittelstreifen oder Baumscheiben verschönern, ist das auch Zeichen eines gestiegenen Selbstbewusstseins." Die Bürger warteten nicht mehr auf offizielle Stellen, die ihre Nachbarschaft pflegten und begrünten - sie machten es selbst. Das liege auch daran, dass die Städte in dem Bereich immer mehr sparten und auch das Engagement der Bürger erwarteten.
Auch das Projekt Küchengärten in Hannover-Limmer sieht sich als politische Aktion. Mehr als 15 Hobbygärtner arbeiten dort seit Anfang des Jahres an einer Vision für eine grünere Stadt. In alten Säcken auf Holzpaletten haben sie Blumen, Obst, Gemüse und Kräuter angepflanzt. Auch Erdbeeren, Zucchini oder Kartoffeln wachsen dort. Es gibt keinen Zaun, jeder kann mitmachen. Alles wirkt improvisiert, kann jederzeit bewegt werden. "Das Projekt ist einerseits ein Gemeinschaftsgarten, andererseits klar "Guerilla Gardening"", sagt Thomas Köhler, Mitinitiator der Aktion.
"Guerilla Gardening" ist eine besondere Form der Stadtverschönerung. Aktivisten werfen da auch schon mal Bomben, Samenbomben. Die als "Seedbombs" bekannten kleinen Kügelchen tragen in sich aber keinen Sprengstoff, sondern Lehm, Erde und Blumensamen. Schnell werden sie auf Brachflächen geworfen, wo sie nach dem nächsten Regen aufgehen und die Pflanzen einen idealen Untergrund zum Wachsen finden.
Die Firma Aries aus Sottrum bei Bremen stellt die Bomben inzwischen sogar professionell her und gewann dafür auf der Biofach-Messe in Nürnberg den Preis für das beste neue Produkt 2011. Sogar der Edelversand Manufactum bietet inzwischen Seedbombs an - mit dem Hinweis, dass die Benutzung auf eigene Gefahr ist und Manufactum mit dem Verkauf nicht zu Straftaten aufruft.
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