Minden. Aktuell haben einige Menschen den Wunsch, ihre Patientenverfügung mit Blick auf Covid-19 zu prüfen – und möglicherweise zu ändern. Was sagt der Jurist, was sagt der Mediziner?
Eine Patientenverfügung regelt, welche medizinischen Maßnahmen ein Mensch im Ernstfall wünscht oder nicht wünscht, wenn er oder sie sich selbst nicht mehr äußern kann. Grundsätzlich müsse die Verfügung, für Patienten, die an Covid-19 erkrankt sind, nicht geändert werden, sagt Prof. Bernd Bachmann-Mennenga, Direktor des Universitätsinstituts für Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin an den Mühlenkreiskliniken. Voraussetzung ist, dass die Verfügung vernünftig ausgefüllt ist und der Patient keine Änderungswünsche hat.

Die Corona-Erkrankung sei therapierbar und es sei nicht damit zu rechnen, dass die Erkrankten über einen langen Zeitraum beatmet werden müssten. „Solange es ein erreichbares Therapieziel gibt, würden wir in dem Fall auch über einen mittellangen Zeitraum beatmen“, so der Mediziner. In der Regel würden die Menschen nicht an Covid-19 sterben, sondern an den Begleitleiden. Und diese seien je nach Vorerkrankung umso schwerwiegender.
Bei einer Akuterkrankung – wie es bei Corona der Fall ist – sei eine Stabilisierung des Patienten mittels Beatmung angezeigt. Dann könne in Ruhe entschieden werden, wie der Befund aussehe. Ein Beispiel: Wenn ein ansonsten gesunder Mensch einen Unfall hat, werde er bei guter Prognose auf jeden fall beatmet – auch wenn in der Patientenverfügung etwas anderes stehe.
Wer sich in seiner Patientenverfügung in jeder Situation – also ohne Nennung einer Erkrankung – künstliche Beatmung verbeten hat, sollte diese widerrufen oder vernichten. Das sagt der Mindener Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Lange, der die sogenannte Mindener Patientenverfügung erstellt hat. Eine solche Verfügung sei ihm noch nicht vorgelegt worden, sagt dazu Bachmann-Mennenga.
Die Antwort auf die Frage, ob und was zu tun ist, erschließt sich nur über die Darstellung von Grundsätzlichem zum Thema Patientenverfügung, erklärt der Jurist. In der Regel werde ein Behandlungsverbot ausgesprochen, allerdings mit der Maßgabe, dass die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung zu beachten sind.
„Herzstück“ einer Patientenverfügung sei die Darstellung von vorgestellten Erkrankungssituationen. In der Mindener Patientenverfügung heißen sie Sterbephase, immer tödlich verlaufende Krankheit, Komasituation und mindestens zweifaches Organversagen.
Die Frage ist, ob dieser Katalog um „Corona“ erweitert werden muss. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Covid-19 als infektiöse Lungenkrankheit registriert. Doch eine Lungenentzündung, die Folge der massiven Virenvermehrung in den Lungenbläschen, ist bei empfänglichen Menschen offenbar nur der erste Schritt in die Katastrophe, so Lange weiter. Etwa knapp jeder zehnte Fall – verteilt über alle Altersgruppen – verläuft nach etwa einer Woche so schwer, dass die infizierten Personen in die Klinik eingeliefert werden müssen. Bei jedem 20. Patienten erleidet die Lunge in kurzer Zeit einen so großflächigen Schaden, dass die Kurzatmigkeit immer stärker wird und das für die Krankheit typische Atemnotsyndrom eintritt. Der Schwerpunkt der Virenvermehrung hat sich dann vom Nasen-Rachen-Raum tief in die Lunge verlagert.
Wolfgang Lange: „Wer mit akuter Atemnot und drohendem Lungenversagen an die Beatmungsmaschine angeschlossen werden muss, kommt so schnell nicht wieder davon los.“ In England verließ von 1.700 Patienten nur die Hälfte die Intensivstation lebend. Vergleichbare Berichte kommen aus China und Italien.
Nach derzeitigen Erkenntnissen ist Covid-19 mehr als eine Grippe, nämlich eine Systemerkrankung. Der ganze Körper kommt ans Limit: Lunge, Herz, Hirn, Niere, Leber und Darm. Nierenversagen, Infarkte, Hirnhautentzündungen, schwerer Durchfall können die Folge sein. Bei Vorerkrankten verursachen die Viren im Blut ein regelrechtes Chaos. Das Immunsystem reagiert unkontrolliert, Entzündungssubstanzen und Signalstoffe zirkulieren in riesigen Mengen. Die Abwehrzellen reagieren immer heftiger statt den Eindringling unter Kontrolle zu bringen, attackieren sie schließlich das eigene Gewebe und zerstören selbst die T-Lymphozyten. Die Konsequenz der immunologischen Überreaktion ist ein Multiorganversagen.
Noch lässt sich über Langzeitfolgen nicht viel Sicheres sagen. Tatsächlich hinterlassen Intubierung und künstliche Beatmung, aber auch die Zerstörungen im Gewebe, tiefe Spuren bei den überlebenden Patienten.
Bei Covid-19 handelt es sich um eine Systemerkrankung, die in den Katalog der Situationsdarstellungen nicht aufgenommen werden kann, weil sie sich nur in besonderen Fällen als todbringend darstellt und wegen ihres Charakters als Systemerkrankung kein angemessenes Behandlungsverbot ausgesprochen werden kann.
Daher müsse es bei der Anwendung der Grundsätze zur ärztlichen Sterbebehandlung verbleiben. „Eine Ergänzung der Patientenverfügung um Covid-19 ist weder erforderlich noch möglich“, so das Fazit Langes.
Wichtig für die Angehörigen ist außerdem die Vollmacht bzw. Vorsorgevollmacht.
Patientenverfügung in Coronazeiten
von Dr. Wolfgang Lange, Rechtsanwalt in Minden
Das beherrschende Thema in den Medien heißt "Corona"; deshalb darf ein Beitrag zu dem Verhältnis Corona und Patientenverfügung nicht fehlen; er soll Auskunft geben, was zu beachten ist. Die Antwort auf die Frage, ob und was zu tun ist, erschließt sich nur über die Darstellung von Grundsätzlichem zum Thema Patientenverfügung.
Die Patientenverfügung stellt dar, was bei Vorliegen bestimmter Krankheitsituationen von dem Arzt an Behandlung verlangt wird; in der Regel wird ein Behandlungsverbot ausgesprochen, allerdings mit der Maßgabe, dass die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung zu beachten sind.
"Herzstück" einer Patientenverfügung ist also die Darstellung von (in der Zukunft liegenden) vorgestellten Erkrankungssituationen, wie sie etwa in der Mindener Patientenverfügung vorgegeben sind; dort heißen sie Sterbephase, immer tödlich verlaufende Krankheit, Komasituation und mindestens zweifaches Organversagen.
Alle Situationen sprechen sterbewürdige Situationen an. Der Verfasser einer Patientenverfügung möchte nämlich in solchen Situationen selbstbestimmt und in Würde sterben dürfen.
Die Frage ist also, ob der vorgenannte Katalog um "Corona" erweitert werden muss. Dazu bedarf es zunächst der Feststellung, um was für eine Krankheit es sich bei "Covid-19" handelt.
Die Weltgesundheitsorganisation hat Covid-19 im Februar als infektiöse Lungenkrankheit registriert. Doch eine Lungenentzündung, die Folge der massiven Virenvermehrung tief im Innern in den Lungenbläschen, ist bei dafür empfänglichen Menschen offenbar nur der erste Schritt in die Katastrophe: Etwa knapp jeder zehnte Fall, und zwar über alle Altersgruppen verteilt, verläuft nach etwa einer Woche so schwer, dass die infizierten Personen in die Klinik eingeliefert werden müssen; bei jedem zwanzigsten Patienten erleidet die Lunge in kurzer Zeit einen so großflächigen Schaden, dass die Kurzatmigkeit immer stärker wird und das für die Krankheit typische Atemnotsyndrom eintritt. Der Schwerpunkt der Virenvermehrung hat sich dann nämlich vom Nasen-Rachen-Raum tief in die Lunge verlagert.
Noch ist allerdings unklar, warum den meisten SARS-CoV-2-Infizierten dieses Schicksal erspart bleibt. Schon jetzt aber steht fest: Wer mit akuter Atemnot und drohendem Lungenversagen an die Beamtmungsmaschine angeschlossen werden muss, kommt so schnell nicht wieder davon los. Als Beispiel dazu gilt England: Von etwa 1.700 englischen Patienten verließ nur die Hälfte die Intensivstation lebend. (Dagegen konnten bei der Grippe in den Vorjahren etwa 3/4 der Infizierten nach einer schweren Lungenentzündung die Intensivstation wieder verlassen.)
Vergleichbare Berichte kommen aus China und aus Italien.
Nach derzeitigen Erkenntnissen ist Covid-19 mehr als eine Grippe, die ebenfalls eine tödliche Sepsis und Multiorganversagen hervorrufen kann, nämlich eine Systemerkrankung. Der ganze Körper kommt ans Limit: Lunge, Herz, Hirn, Niere, Leber und Darm - alles leidet.
Nierenversagen, Infarkte, Hirnhautentzündungen, schwerer Durchfall können die Folge sein; Vorerkrankte bieten dem Virus eine verstärkte Angriffsfläche. Und es kommt noch Folgendes hinzu: Im Blut verursachen die Viren ein regelrechtes Chaos. Das Immunsystem reagiert unkontrolliert, Entzündungssubstanzen und Signalstoffe wie Zytokine und Interleukine zirkulieren in riesigen Mengen. Die Abwehrzellen reagieren darauf immer heftiger statt den Eindringling unter Kontrolle zu bringen, attackieren sie schließlich das eigene Gewebe und zerstören selbst die T-Lymphozyten. Ein Zytokinsturm ist bei Covid-19-Patienten in China häufig festgestellt worden.
Die Konsequenz der immunologischen Überreaktion ist dann Multiorganversagen.
Noch lässt sich über Langzeitfolgen nicht allzuviel Sicheres sagen. Tatsächlich hinterlassen Intubierung und künstliche Beatmung, aber auch die vom Virus und dem eigenen Immunsystem angerichteten Zerstörungen im Gewebe tiefe Spuren bei den überlebenden Covid-19-Patienten.
Die Hoffnung der Forschung liegt deshalb nicht nur bei Immunisierung durch Impfung, sondern auch bei angemessener neuer Medikation, die das Zerstörungswerk der Erreger frühzeitig aufzuhalten versuchen; mindestens 170 Wirkstoffe sind derzeit in der klinischen Erprobung.
Nach der vorangegangenen Darstellung der Erkrankungssituation bei Covid-19 steht also fest, dass es sich hier um eine Systemerkrankung handelt, die in den Katalog der Situationsdarstellungen nicht aufgenommen werden kann, weil sie sich nur in besonderen Fällen als todbringend darstellt und dann wegen ihres Charakters als Systemerkrankung kein angemessenes Behandlungsverbot ausgesprochen werden kann.
Es muss also bei der Anwendung der Grundsätze zur ärztlichen Sterbebehandlung verbleiben.
Eine Ergänzung der Patientenverfügung um "Covid-19" ist weder erforderlich noch möglich.
Wer allerdings eine Patientenverfügung errichtet hat, in der er sich ohne Nennung einer Erkrankungssituation (also in jeder Situation) künstliche Beatmung verbeten hat, sollte sie widerrufen bzw. vernichten.
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